In den vergangenen Jahren sind in der Gastronomie regionale Produkte vermehrt zum Trend geworden. Hansjörg Ladurner, Küchenchef im «Scalottas Terroir» im Hotel Schweizerhof Lenzerheide, pflegt die Terroir-Küche bereits seit langem und legt grossen Wert auf regionale, naturnahe und saisonale Produkte. Der gebürtige Südtiroler führt das Restaurant «Scalottas Terroir» seit 2007 gemeinsam mit Sous-Chef René Bissig. Im Jahr 2022 erhielten die beiden erstmals den begehrten grünen MICHELIN Stern. Der Grüne MICHELIN Stern wurde 2020 ins Leben gerufen und ist eine Auszeichnung für Restaurants, die sich durch ihr nachhaltiges Engagement in der Gastronomie besonders hervorheben.
Text: Malin Müller
Bilder: zVg
Hansjörg Ladurner, Sie führen seit 2007 das Restaurant «Scalottas Terroir» im Hotel Schweizerhof Lenzerheide. Kochen war schon immer Ihre grosse Leidenschaft. Wann und wo haben Sie diese Leidenschaft entdeckt?
Ich bin in einer Gastgeberfamilie aufgewachsen, meine Eltern führten ein Gasthaus. Als 10-jähriger war es das Highlight an der Fritteuse Pommes zu frittieren, ich «musste» immer wieder die Knusprigkeit der Kartoffeln testen.
Welche Philosophie verfolgen Sie mit dem «Scalottas Terroir»?
Unser Denken und Handeln versucht die Ganzheit des kulinarischen Geniessens zu erfassen. Wir wollen dem Gast maximalen Genuss bieten – zeigen, welch hervorragende Produkte es in unserer Umgebung gibt – und unseren Produzenten ein verlässlicher Partner sein. Dies alles mit dem nötigen Respekt unserer Natur gegenüber. Wir möchten einen möglichst kleinen Fussabdruck hinterlassen.
Was fasziniert Sie an der Terroir-Küche und weshalb leben Sie diese so stark?
Das Wissen um die Verantwortung gegenüber unserer Erde, dem Boden, der uns nährt, den Tieren, den Menschen, die mit uns arbeiten, das Erkennen von Zusammenhängen, das tägliche Lernen über und mit der uns direkt umgebenden Natur ist faszinierend. Wir machen keine Terroir-Küche, weil es «IN» ist, wir leben den Gedanken, dass wir nur eine Erde haben und zu dieser Sorge tragen. Diese Einstellung prägt nicht nur unsere Küche, auch das Getränkeangebot haben wir dieser Überzeugung angepasst.

2019 haben Sie das Projekt BergAcker ins Leben gerufen. Hier pflanzen Sie eigene Kartoffeln, Gerste, Ackerbohnen und vieles mehr nach alter Bergbauerntradition. Wie kam dieses Projekt zustande?
Wenn man sich mit der Geschichte unseres Essens befasst, befasst man sich unweigerlich mit der Geschichte der Region. Früher war die Gegend um die Lenzerheide vorwiegend landwirtschaftlich geprägt. Die Lenzerheide war ein Maiensässgebiet und die Bauern in Vaz/Obervaz waren Selbstversorger. Jeder Bauer hielt Geissen oder Schafe, die Kuh diente als Zugtier für Wagen und Pflug und zu jedem Hof gehörten mehrere Äcker, man lebte im Einklang mit der Natur. Durch den Tourismus kam Geld ins Tal und man bemerkte, dass der Verkauf von Bauland lukrativer war als der Anbau von Kartoffeln und Getreide für den Eigenverbrauch. Die Gründung der Käseunion in den 60er Jahren animierte die Bauern dazu auf die Milchwirtschaft umzustellen. Mit dem BergAcker wollte ich den Bauern zeigen, dass auf ihrem Land weit mehr als Gras für die Kühe, deren Milch kaum kostendeckend verkauft wird, wächst. Zudem ist der BergAcker für uns eine Spielwiese gleichgesinnter Bauern und Köche, ein Labor der Natur und lehrt uns, wie Produkte wachsen. Damit steigt die Wertschätzung gegenüber den Zutaten und der Arbeit unserer Produzenten.
Welchen Rat geben Sie anderen Gastronomen in Bezug auf die regionale Küche?
Haltet die Augen offen – es hat fantastische, einzigartige Produkte in eurer Umgebung und spannende Menschen, welche diese produzieren.
Was ist die grösste Herausforderung, wenn man ausschliesslich mit regionalen Produkten arbeitet?
Um es vorweg zu nehmen, wir sind nicht dogmatisch. Wir arbeiten mit Pfeffer und anderen Gewürzen, welche nicht in unseren Regionen wachsen. Gewürze wurden bereits früher gehandelt und verwendet, meist nur von der wohlhabenden Oberschicht. Zudem interessieren uns menschengemachte Grenzen nicht. Die Vinschger Marille ist mir näher als die Walliser Aprikose, einerseits rein kilometermässig, andererseits habe ich bei der Marille den Bezug zu meiner Heimat. Die grösste Herausforderung bei unserer Terroir-Küche ist sicher die Verfügbarkeit der Produkte. Die Bestellung bei Lieferanten am Abend um 22.00 Uhr mit der anschliessenden Lieferung tags darauf um 09.00 Uhr funktioniert bei uns nicht. Wir planen viel länger im Voraus, wann wir welche Produkte auf die Karte nehmen, sind flexibel, wenn das Wetter nicht mitspielt, die Ernte misslingt, oder der Jäger kein Jagdglück hat. Die Natur hält immer einen Ersatz bereit.


Was ist Ihr Signature Dish?
In einer Küche, welche stark auf Saisonalität und die Region setzt, ist es schwierig, ein Gericht über das ganze Jahr hinweg anzubieten. Das Arvenschaumsüppchen mit einem Apfelraviolo und Preiselbeeren ist für mich ein Gericht, welches unsere Terroir-Küche bestens porträtiert. Die Hochstammäpfel aus dem Garten unseres Besitzers Andreas Züllig mit dem Duft des Arvenöls, welches unser Revierförster aus den Holzresten extrahiert und der leichten Bitternote der Preiselbeeren, gesammelt von unseren Mitarbeitern, lassen unseren Gästen sofort das Bild der Bündner Berge vor dem inneren Auge erscheinen.
Wie entwickeln Sie neue Gerichte?
Im reichen Fundus unserer Natur gibt es Produkte mit hervorragender Qualität. Ich nehme stets ein solches Produkt und «bastle» mit zwei bis drei weiteren Zutaten daraus ein Gericht. Wir konservieren über das ganze Jahr hinweg Wildfrüchte, Kräuter, Baumblüten oder -zapfen, meist, ohne im Voraus zu wissen, was wir daraus machen. Mit diesen Produkten können wir dann passend zu den anderen Zutaten das Spezielle, Unerwartete auf den Teller bringen.
Was ist das schönste Kompliment, das Sie von einem Gast erhalten haben?
Es gibt viele schöne Begegnungen mit unseren Gästen. Eine ist mir aber besonders in Erinnerung geblieben. Eine ältere Dame hat mich im Restaurant umarmt und mir unter Tränen erklärt, dass das Pot au feu vom Suppenhuhn sie an ihre Grossmutter erinnert hat. Es braucht nicht viel, um Menschen glücklich zu machen. Liebe und Respekt – zur Natur, zum Produkt und Freude an dem, was man tut.