Florian Neubauer im Interview

Die Schweiz ist reich an kulinarischen Talenten – von ausgezeichneten Gourmetadressen mit Michelin-Sternen und GaultMillau-Punkten bis hin zu charmanten Geheimtipps abseits des Mainstreams. Einer, der für uns weit mehr als ein Geheimtipp ist, heisst Florian Neubauer. Seit fast zehn Jahren begleiten wir «Flo» auf seiner kulinarischen Reise – vom After Seven in Zermatt bis zum Sens im Vitznauerhof. Flo ist leidenschaftlicher Koch, einstiges Party-Kid, gelegentlich DJ – und immer auf der Suche nach dem besonderen Geschmackserlebnis. «Kochen ist für mich nichts anderes als Storytelling», sagt er. Für QUALITYTIMES haben wir mit ihm gesprochen – herausgekommen ist ein Interview voller Lebenslust, Ehrlichkeit und kulinarischer Neugier.

Flo, seit 2014 lebst und kochst du in Zermatt und das an keinem anderen Ort als im Sterne Restaurant After Seven (17 GaultMillau-Punkte) im Backstage Hotel Vernissage. Im 2020 habt ihr zusätzlich mit dem Diner’s Club gestartet (15 GaultMillau-Punkte) wo du ebenfalls für das ganze Konzept in der Küche verantwortlich bist. Seit letztem Sommer trifft man dich zudem auch am Vierwaldstättersee im Sens in der Sommerresidenz der Star Chefs an. Wie unterscheiden sich nun die Konzepte in den drei Lokalitäten und wo holst du dir die Inspiration?

Inspiration finde ich überall – auf Reisen, in Gesprächen, in Musik, auf Märkten, beim Street Food und, ganz wichtig, im Austausch mit meinem Team. Jede Location, in der ich tätig bin, hat seine ganz eigene DNA:

After Seven ist Fine Dining mit Tiefgang – da geht’s ganz klar um Kulinarik und Emotionen, alles dreht sich ums Essen.

Diner’s Club ist ein stylisches Lifestyle-Restaurant, bei dem Atmosphäre und eine gute Zeit im Vordergrund stehen, da ist der Name Programm. Beide Restaurants, Afterseven und Diner’s Club, sind eigentlich Kunstobjekte von Heinz Julen, denen wir Leben einzuhauchen versuchen.

Und dann ist noch das Sens, ein Pop-up an einer atemberaubenden Location, das ich zwei Monate lang kulinarisch unterstreiche.

Und natürlich: Ich mach das nicht allein. Gerade im After Seven arbeite ich eng mit meinem Küchenchef Patrik Simon zusammen. Vor jeder Saison setzen wir uns an den Tisch, brainstormen, fachsimpeln – jeder bringt seine Handschrift mit rein.

Wie hat sich deine Leidenschaft fürs Kochen entwickelt?

Ganz ehrlich? Es war kein grosser Knall, eher ein schleichender Rausch. Irgendwann stand ich in der Küche, hab geschnippelt, probiert, gefeiert – und gemerkt: Hier geht’s nicht nur um Essen, sondern um Emotionen, Handwerk und Kunst. Und ich hatte das Glück, mit Chefs zu arbeiten, die mich von Anfang an in die Entstehung der Gerichte eingebunden haben. Genau das hat die Leidenschaft in mir entfacht – weil man sich nur mit etwas identifiziert, wenn man ein Teil davon ist.

Nun ist es ja so, dass du neben deiner Tätigkeit als Geschäftsführer und Executive Chef vom After Seven sowie vom Diner’s Clubs, während der Wintersaison auch regelmässig im Vernissage Club als DJ auflegst. Woher nimmst du all diese Energie und was bereitet dir beim DJing am meisten Freude?

Energie kommt aus der Leidenschaft – wenn du für etwas brennst, ist Schlaf nebensächlich. Kochen und Musik – beides weckt Emotionen. Beim DJing liebe ich es, die Crowd zu lesen und im richtigen Moment genau den Track zu droppen, der alle abholt. Das ist wie ein gut abgestimmtes Menü – wenn alles passt, entsteht Magie.

Was sind aktuell die grössten Herausforderungen für dich als Geschäftsführer und Executive Chef?

Die grösste Challenge ist, ein Gleichgewicht zu halten zwischen Kreativität, Qualität und wirtschaftlichem Druck – ohne dabei den Spirit zu verlieren. Fachkräftemangel ist real, vor allem in Saisonorten wie Zermatt. Gute Leute zu finden ist schwer – sie zu halten, noch schwerer. Ich suche nicht nur nach Lebensläufen, sondern nach Persönlichkeiten, die reinpassen. Gleichzeitig musst du als Executive Chef nicht nur ein guter Koch sein, sondern auch Leader, Coach, Psychologe, Zahlenmensch – und manchmal Feuerwehrmann. Und das alles in einem Setting, das ständig in Bewegung ist. Die Kunst ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen gerne arbeiten und wachsen wollen – denn nur so bleibt der Laden echt.

Wie sieht ein normaler Samstag bei dir aus?

Ziemlich wild – aber genau so liebe ich’s. Morgens starte ich mit den typischen To-do’s: Mails, Orga, ein bisschen Papierkrieg. Gegen 13 oder 14 Uhr geht’s dann ab in die Küche – da versuche ich mein Team zu pushen, zu motivieren und wo nötig mitanzupacken. Zwischendurch? Telefonate, spontane Probleme, schnelle Entscheidungen – der ganz normale Wahnsinn eben.

Ab 18 Uhr ist Service-Besprechung, dann läuft der Laden von 19 bis 23 Uhr auf Hochdruck. Und wenn andere Feierabend machen, beginnt bei uns die zweite Schicht: Party-Modus. Ich bin meistens als Trouble Shooter oder Barkeeper unterwegs – irgendwo zwischen DJ-Pult, Bar und Tanzfläche. Um 5 Uhr ist Schluss, dann wird noch geputzt. Und um sieben falle ich ins Bett. Klingt verrückt? Ist es auch. Aber genau das ist mein Samstag – und ich würd’s nicht tauschen wollen.

Wie würdest du dich selbst als Küchenchef beschreiben?

Ich bin definitiv kein Küchenchef nach Lehrbuch – eher kreativ-chaotisch mit einem System, das manchmal nur ich verstehe. Ich liebe es, in letzter Sekunde noch etwas am Gericht zu drehen, wenn ich das Gefühl habe, da geht noch was. Was mich aber wirklich ausmacht: Ich bin loyal und ehrlich zu meinem Team. Ich gebe viel Vertrauen – weil ich will, dass jeder bei uns wächst, sich einbringt und mit Stolz hinter dem steht, was wir servieren.

Ich fordere, ja – aber ich fördere mindestens genauso. Und ich kann auch mal loslassen, wenn ich merke, dass jemand Verantwortung übernehmen will. In der Gastro muss Herzblut fliessen, sonst wird’s seelenlos. Mein Ziel ist ein Team, das gerne kommt – nicht, weil es muss, sondern weil es Bock hat.

Wer dich kennt, weiss, dass du sehr gerne reist. In der Zwischensaison trifft man dich oft auf Bali an. Welches Land / Ort ist aktuell dein Lieblingsort und warum?

Zermatt. Punkt. Für mich gibt’s gerade keinen besseren Ort. Die Berge, die Luft, die Leute – das ist Schweiz pur und trotzdem fühlt es sich international an. Ich liebe diesen Mix aus Natur, Luxus, Hüttenzauber und High-End-Küche. Und ja, Bali ist geil, aber in der Schweiz wachst du morgens auf, schaust aufs Matterhorn oder auf einen wunderschönen See – und weisst einfach: Du bist genau da, wo du sein sollst. Das Einzige, was hier fehlt, sind die Wellen zum Surfen.

Wie schaltest du ab, wenn du unterwegs bist?

Im Winter ist’s schwierig – da bin ich fast 24/7 eingebunden. Aber ich versuche, mir kleine Inseln zu schaffen: beim Klettern, Skifahren, DJing, wenn ich mit meinem Team feiere oder Drinks im Club ausschenke. Abschalten heisst für mich nicht immer «Pause», sondern oft einfach «anders».

Was ist das Verrückteste, das du je auf deinen Reisen gegessen hast?

Balut – ein angebrütetes Entenei. Geschmacklich… sagen wir: herausfordernd. Aber hey – man lebt nur einmal.

Was für einen Rat würdest du Jungköchen mit auf den Weg geben?

Geht zu Köch:innen, die euch inspirieren – völlig unabhängig von Sternen oder Punkten. Arbeitet in unterschiedlichen Küchen, mit verschiedenen Stilen. Macht’s nur, wenn ihr es wirklich fühlt. Und dann: Seid neugierig, arbeitet hart – und schaut am Anfang nicht auf Gehalt oder Stunden.

Dein absolutes Lieblingsgericht?

Die Frage höre ich ständig – und ich kann sie nie richtig beantworten.

Was findet man immer in deinem Kühlschrank?

Einweckgläser vom Bauern aus meinem Heimatdorf – von meinen Eltern liebevoll mitgebracht, jedes Mal, wenn sie vorbeikommen. So eine Art kulinarisches Care-Paket mit Heimatflavour. Zwischen fermentiertem Gemüse und eingekochtem Apfelmus versteckt sich dann meistens noch irgendwas, das abgelaufen ist… aber hey, ein bisschen Chaos gehört in meinem Kühlschrank genauso dazu wie in meinem Kopf.

Wenn du selbst auswärts essen gehst in der Schweiz, welches Restaurant ist dein Lieblingsrestaurant und weshalb?

Birdys in Brunnen – da steckt so viel Herz, Technik und gleichzeitig Leichtigkeit drin. Es fühlt sich an wie ein Abend mit Freunden – genau mein Ding.

Wie kreierst du jeweils deine neuen Menüs?

Ich mach ständig Notizen – meistens im Handy, wenn mir spontan Ideen kommen. Zutaten, Kombinationen, ganze Gerichte. Beim Menüschreiben schau ich dann da rein – die Hälfte schmeiss ich wieder raus. Ich definiere vorher, welche Garmethoden und Aromen ich will – scharf, sauer, pochiert oder gegrillt? Der Rest entsteht beim Kochen. Und ehrlich gesagt: Die besten Ideen kommen oft ganz spontan – was mein Team manchmal ein bisschen wahnsinnig macht (Sorry!).

Was ist neben dem Kochen deine grösste Leidenschaft?

Das wechselt. In Zermatt ist’s aktuell das Klettern. In Bali das Surfen. Im Winter Snowboarden und DJing. Ich reise viel und liebe es, die Welt auf meine eigene Art zu entdecken – Hauptsache, es macht Spass und ist nie langweilig.

Was ist für dich das grösste No-Go in der Küche?

Schmutz. Heulsusen. Grosse Klappe ohne Substanz.

Dreck killt jede Küche. Ich brauche Leute, die mitziehen, die sich nicht zu schade sind, mitanzupacken – keine Blender. Früher haben sich Menschen oft unter Wert verkauft – heute ist’s oft umgekehrt.

Was ist dein Signature Dish?

Heilbutt mit Champagner-Beurre Blanc, Seespargel, Tomate und Saibling-Kaviar.

Was bringt dich auf die Palme?

Respektlosigkeit gegenüber meinem Team – da hört der Spass auf.

Beschreibe deine Küche in drei Worten:

frisch – international – kantig


Zum Reflektieren:

Was ist das schönste Kompliment, das du je bekommen hast?

Dieses Jahr war eine Mutter mit ihrer 18-jährigen Tochter bei uns – sie waren vor sechs Jahren schon mal da, damals war die Tochter zwölf. Sie konnte sich noch an jedes einzelne Gericht erinnern – und hat mich dann gefragt, ob sie ein Praktikum bei uns machen darf. Das war ein Gänsehaut-Moment.

Dein Traumreiseziel?

Gerade ganz oben auf der Liste: Tel Aviv. Alle sagen, dort gibt’s das beste, abwechslungsreichste Essen überhaupt – das muss ich erleben.

Was macht dich neben dem Kochen glücklich?

Vieles. Meine Freundin. Meine Eltern, wenn sie mir Fotos schicken, wie sie mit dem Campervan durchs Leben cruisen und endlich ihre Freiheit feiern. Wenn unsere Partys knallen und der Laden voll ist. Zeit mit meinem Team, die oft mehr Familie als Kollegen sind. Sport, um den Kopf freizubekommen. Musik auf den Ohren, Wellen unterm Board, Sonnenaufgänge nach langen Nächten – und ehrliche Gespräche bei einem Glas Wein. Das ist mein Glücksmix.

Dein grösster Traum?

Ein Surfclub direkt am Meer – mit einem kleinen, feinen Restaurant, das genauso viel Seele hat wie die Wellen davor.

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